Artuke – auf den Weinberg kommt es an

Artuke, Arturo de Miguel

Auf der Fahrt von Andalusien nach Deutschland habe ich letzte Woche einen dreitägigen Halt in der Rioja eingelegt. Da ich mit Familie unterwegs war, ließ ich es in Sachen Wein ein bisschen lockerer angehen. Aber ganz ohne geht natürlich nicht: Am ersten Tag besuchte ich zwei Traditionshäuser in Rioja Alta und trank Weine aus den 60er- und 70er-Jahren, wovon ich ein anderes Mal erzählen werde. Am zweiten Tag war ich bei einem interessanten Weingut in Rioja Oriental zu Gast, während ich den dritten Tag für Rioja Alavesa – den baskischen Teil der Appellation – vorsah.

Als ich den Rioja-Aufenthalt plante, war mir bereits klar, dass ich in Alavesa nur ein Weingut besuchen werde, da ich wie gesagt mit Familie dort war und ich nicht den ganzen Tag getrennt von ihnen sein wollte. Einfach mal zusammen entspannt essen gehen und gemeinsame Zeit für Ortserkundungen zu haben, ist schließlich auch schön.

Kopfzerbrechen bereitete mir allerdings, welches eine einzige Weingut ich denn nun bezüglich eines Besuchs kontaktieren sollte: Namen wie Artadi, Remirez de Ganuza, Ostatu, Bhilar und Sierra de Toloño kamen mir in den Sinn. Als erste Wahl entschied ich mich für eine Anfrage bei Viña Artuke, deren Weine ich unter anderem 2019 auf einem Salon in Madrid probiert hatte und die mich seinerzeit begeisterten. Rasch bekam ich eine positive Antwort und somit stand das Programm für Rioja Alavesa fest.

Die Kinder und Frau lud ich morgens im reizenden mittelalterlichen Städtchen Laguardia ab, um sie dort drei Stunden später wieder abzuholen. In der Zwischenzeit machte ich mich auf den Weg ins zehn Kilometer entfernte Baños de Ebro, wo ich Arturo de Miguel traf, der das Weingut Artuke gemeinsam mit seinem Bruder Kike betreibt.

Arturo de Miguel in der Lage Finca de los Locos in Baños de Ebro

Nach einer kurzen Begrüßung schlägt Arturo vor, sogleich in die Weinberge zu fahren. Die Kellerei sei schließlich nicht das Wichtigste, meint er, vielmehr komme es auf die Qualität und den Charakter der Weinberge an. Natürlich bin ich damit einverstanden, denn ich bin genau derselben Meinung. Also ab ins Auto.

Auf dem Weg erfahre ich, dass Arturo und Kike als Winzer in fünfter Familiengeneration tätig sind. Erst ihr Vater Roberto de Miguel Blanco begann 1991 allerdings damit Wein in Flaschen abzufüllen und unter eigenem Namen zu verkaufen. Es handelte sich um einen sogenannten „Cosechero“ – das ist ein saftig-frischer und fruchtiger Rotwein wie er Tradition in der Rioja hat, der mittels Kohlensäuremaischung entsteht und jung getrunken wird. Bis heute keltern Arturo und Kike einen Wein in diesem Stil, er heißt schlichtweg Artuke und kostet nur um die 8 Euro. Der Trinkspass ist garantiert.

Rioja Grand Cru – ein 101 Jahre alter Mischsatz

Für Rioja-Verhältnisse handelt es sich um ein kleines Weingut: 30 Hektar biologisch bewirtschaftetes Rebland verteilen sich auf 72 Parzellen. Die Jahresproduktion liegt bei 150.000 Flaschen. Gleichwohl sind Arturo und Kike in wenigen Jahren in der obersten Liga angekommen: Artuke erhält herausragende Bewertungen von der Weinkritik, ist Mitglied im renommierten Verbund Futuro Vinador und ist mit einem burgundischen Ansatz der progressiven spanischen Weinszene zuzuordnen.

Burgundisch bedeutet in dem Fall, dass Arturo und Kike ihre Weine nicht nach den traditionellen Reifestufen Crianza, Reserva und Gran Reserva, sondern nach Terroir klassifizieren: Das Portfolio besteht aus sechs Rotweinen – jeweils zwei Orts-, Lagen- und Parzellenweine. Letztere würden im Burgund einer Grand Cru entsprechen.

Top-Weinberg La Condenada von Artuke.
101 Jahre alter Mischsatz mit Tempranillo, Garnacha, Graciano und Palomino Fino. Hieraus entsteht der Top-Wein La Condenada.

In einer solchen „Grand Cru“-Lage stehe ich nun mit Arturo. Die Parzelle für den Rotwein La Condenada ist 0,75 Hektar groß – ein 101 Jahre alter Mischsatz mit Tempranillo, Garnacha, Graciano und der weißen Palomino Fino. Der Boden besteht aus einer vierzig Zentimeter dicken Sandschicht, darunter breitet sich purer harter Sandstein aus.

Die verschiedenen Rebsorten in dieser Parzelle erntet und vergärt Arturo zusammen. Von separater Lese und Vinifizierung will er nichts wissen – für ihn bildet dieser Weinberg eine Einheit, einen in sich stimmigen Kosmos, den er nicht trennen will. Ergo landen Tempranillo, Garnacha, Graciano und Palomino im selben Behälter und erfahren eine kurze siebentägige Maischegärung, die wie bei allen Artuke-Weinen spontan erfolgt. Anschließend findet ein zwölfmonatiger Ausbau in 600-l-Holzfässern statt.

Arturo und Kike haben den alten Weinberg im Jahr 2012 gekauft und ihm neues Leben eingehaucht. Wenige 1.970 Flaschen umfasst der Jahrgang 2019, den wir später in der Kellerei probieren. Er hat eine kühle und florale Anmutung, ist unglaublich klar, präzise und filigran. La Condenada steht beispielhaft dafür, was mir an allen Artuke-Weinen imponiert: Sie sind komplex und tiefgründig und zugleich „trinkig“. Weder sind sie schwer, noch in irgendeiner Form kompliziert oder überkandidelt. Es sind ungeschminkte Weine von beeindruckender Klarheit. Kurz gesagt: Großes Kino!


Weinberg Paso las Manas am Fuße der Sierra Cantabria
Am Fuße der Sierra Cantabria auf 720 m.ü.NN. Die Ernte für den Wein Paso las Mañas findet auf dieser Höhe ein paar Wochen später statt.

Als nächstes fahren wir an den Fuß der Kantabrischen Berge. Die 3,9 Hektar große Lage für den Wein Paso las Mañas ist mit 720 Metern die höchstgelegene unter den Artuke-Weinbergen. Höhe bedeutet freilich kühlere Nächte, was die Zuckerproduktion der Trauben verlangsamt und den Reifezyklus verlängert. Besonders bei einer frühreifenden Sorte wie Tempranillo stellt die Hochlage somit einen Vorteil dar. In kühlen Nächten können die Trauben zudem Säure und frische Aromen besser konservieren.

Ich frage Arturo, ob er seine Weine ansäuern muss. Nein, das sei normalerweise nicht nötig, entgegnet er. Einzig in den extremen Jahren 2012 und 2017 war es der Fall. Die Offenheit und der Pragmatismus von Arturo gefallen mir.

Ebenso interessiere ich mich für die sogenannte Einzelpfahlerziehung in einigen Weinbergen: Warum die Pfähle an jeder einzelnen Rebe? Weil der Wind teils derart heftig bläst, antwortet Arturo. Um zu verhindern, dass die Ruten der Reben brechen, binden sie sie an den Stangen fest. „Das ist doch ziemlich viel Extraarbeit?“, frage ich rhetorisch. „Um guten Wein zu machen, musst du hart arbeiten“, entgegnet Arturo knapp, und wer würde ihm da widersprechen wollen.

Die harte Arbeit ist es jedenfalls Wert: 2019 Paso las Mañas ist ein großartiger Lagenwein, ein sortenreiner Tempranillo, der sich für mein Empfinden stark über Struktur, Grip und Mineralität definiert. Dieser Wein hat etwas puristisches, geradliniges und kreidiges an sich, was ihn sehr interessant und speziell macht. Die Reben sind erstaunlich jung für einen Wein dieser Güte – von Arturo und Kike erst 2013 gepflanzt. Der Ausbau von Paso las Mañas erfolgt für 12 Monate im 3500-l-Fuder.

Weinberg Paso las Manas
Die gleiche Lage, nur andere Richtung mit Blick auf den Ort Samaniego

Außerdem besuchen wir den 2,8 Hektar großen Weinberg Peñaescalera, aus welcher der Lagenwein Finca de los Locos entsteht („das Anwesen der Verrückten“). Arturos Großvater erstand die Lage einst, und die Leute im Dorf hielten ihn damals für verrückt, da der sandige und mit Kiessteinen gespickte Boden so arm und unfruchtbar ist.

Finca de los Locos ist ein vierzig Jahre alter Mischsatz mit Tempranillo (78%), Graciano (20%) und Viura (2%). Mit 550 m.ü.NN liegt er zwar niedriger als der zuvor von uns besuchte Weinberg, aber die rote Sorte Graciano ist schließlich für hervorragende Säure und Struktur bekannt und gibt dem Wein entsprechend Rückgrat. Auch hier ernten und vergären Arturo und Kike die Trauben zusammen. Im Vergleich zu Paso las Mañas ist der 2019er-Jahrgang von Finca de los Locos expressiver und kraftvoller, aber nach wie vor sehr frisch und elegant und beeindruckend balanciert.

Wie in allen Weinbergen verzichten Arturo und Kike auch bei Finca de los Locos auf eine Erziehung am Drahtrahmen. Sie setzen entweder auf die traditionelle Buscherziehung wie sie oben auf dem ersten Foto des Texts zu sehen ist oder auf die bereits erwähnte Einzelpfahlerziehung.

Artuke – Weinberge zwischen Ebro und Sierra Cantabria

Nicht unerwähnt soll die phänomenale Aussicht im Weinberg Finca de los Locos bleiben: Er liegt direkt an einer Klippe, etwa 120 Meter über dem Ebrotal. Von oben sehe ich den Flusslauf und dahinter die Silhouette der Sierra de la Demanda. Jener Bergzug bildet eine Wand im Süden der Rioja und verhindert somit, dass die extreme Hitze des kontinentalen Spaniens ins Gebiet ziehen kann.

Blick aufs Ebrotal und - ganz im Hintergrund - die Sierra de la Demanda
Blick aufs Ebrotal und – ganz im Hintergrund – die Sierra de la Demanda

Blicken wir in die andere Richtung, so ist das Terrain hügelig und die Sierra Cantabria ist unweit entfernt. Jener Bergzug schirmt die Rioja zum nur achtzig Kilometer entfernten Atlantik ab. Die Berge verhindern, dass Regenwolken vom Ozean ungehindert ins Land ziehen können. Gleichwohl sind die Gipfel auch nicht so hoch, als dass sie eine undurchdringliche Mauer bilden würden. Ein Teil des Regens und der kühlen Brisen vom Atlantik dringt somit ins Gebiet, was insbesondere in Rioja Alavesa für ein moderates kontinentales Klima mit atlantischen Einflüssen sorgt.

Entsprechend ist die Sierra Cantabria für Arturo de Miguel das entscheidende Kriterium, welches den Weinbau in der Rioja in der uns bekannten Form überhaupt ermöglicht. Ohne sie sähen das Gebiet und der Weinbau völlig anders aus. „Wein ist Geografie in der Flasche“, sagt Jancis Robinson völlig zurecht, und das Beispiel von Rioja und der Sierra Cantabria könnte diese Aussage kaum zutreffender illustrieren.

Noch ein paar Worte zum Gebiet im Allgemeinen: Rioja Alavesa ist mit etwa 13.000 Hektar Rebland die kleinste der drei Subzonen der DOCa Rioja. Dieser zum Baskenland gehörende Teil befindet sich zwischen dem nördlichen Ebroufer und den Ausläufern der Sierra Cantabria. Für Arturo de Miguel bildet sein Zuhause – er stammt aus Baños de Ebro – das beste Terroir der Appellation, wie er sagt: Im Vergleich sind die Böden in Alavesa ärmer, die Reben im Durchschnitt älter und das Klima etwas kühler. Nicht zuletzt erlaubt das hügelige Terrain die Weinberge in verschiedenen Himmelsrichtungen anzulegen, was ein weiterer Faktor für Diversität ist.


Im Weinkeller von Artuke
Im Vergleich zu klassischen Rioja-Weinen findet der Ausbau in größeren Fässern statt.

Mein Besuch endet in der Kellerei im Ort Baños de Ebro und mit der Verkostung der sechs Weine. Arturo und Kike de Miguel sind mit ihrem Weingut Artuke einer Gruppe von Winzern und Winzerinnen zuzurechnen, die Rioja anders interpretieren als die klassischen Weingüter der Region. Mit ihrem Ansatz verfolgen Arturo und Kike den Ausdruck spezifischer Terroirs in Form von Orts-, Lagen- und Parzellenweinen. Ihre Klassifikation der Weine orientiert sich zwar an jener im Burgund; gleichwohl betont Arturo, dass er keine Weine im burgundischen Stil keltern will, sondern welche, die eine eigenständige und unverwechselbare Persönlichkeit haben.

Wer Terroir, also den „Geschmack eines Weinbergs und Jahrgangs“ explizit ausdrücken will, sollte sich mit übermäßigem Holzeinsatz zurückhalten, der Wein darf schließlich nicht von Holz maskiert sein. Folgerichtig kommen bei Artuke nicht die in Rioja üblichen 225-l-Barriques, sondern nur größere (und mehrheitlich ältere) Gebinde mit 600 und 3500 Litern zum Einsatz. Auch in dieser Hinsicht ist Artuke „not your usual Rioja“.

Weine von Artuke, Rioja Alavesa
Links die zwei Parzellenweine, daneben die zwei Lagenweine, rechts ein Ortswein

Weitere Informationen:

Bezugsquelle DE: gute-weine.de
Bezugsquelle CH: flaschenpost.ch

Alle Beitragsfotos: © Spaniens Weinwelten

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