García de Verdevique – dem Himmel ein Stück näher

Bei Garcia de Verdevique

Mein fünfjähriger Sohn weiß noch nichts über Wein. Und das ist auch gut so. Ein ganz klein bisschen kennt er sich aber doch schon damit aus. Immer wenn ich einen Wein zuhause im Glas habe, kommt er an und fragt mich: „Ist das ein Verdevique, Papa?“ Das Wort Verdevique ist für ihn gleichbedeutend mit Wein. Inzwischen hat er auch mitbekommen, dass es schwarzen und gelben Verdevique gibt. 

Falls Sie sich nun fragen sollten, wovon ich hier erzähle: Mit „Verdevique“ ist das Weingut Garcia de Verdevique gemeint. Es ist eines meiner Lieblingsweingüter, und die spannenden Weiß- und Rotweine dieser Bodega sind unsere „Hausweine“. Nichts trinken wir im Familienkreis öfter und mehr als Verdevique.

Das Terroir: Hochlage, Schiefer, alte Reben und zwei Pferde
Mit Garcia de Verdevique betreten wir eine Weinwelt abseits der üblichen Geschmacksmuster. Die Weine von Vater Antonio und Sohn Alberto García zeigen sich stets charaktervoll und mit interessanten Aromen. Jeder Jahrgang schmeckt anders und nie langweilig. Sie haben es sicher schon erraten: Es handelt sich um Naturweine und freilich um astreine Terroir-Weine (jenen überstrapazierten Begriff verwende ich in diesem Fall ohne Gewissensbisse).

Antonio und Alberto García bewirtschaften zehn Hektar in der Sierra de la Contraviesa. Es ist eine einsame Bergregion im Hinterland der Costa Tropical, so heißt die Mittelmeerküste der Provinz Granada. Viele Rebstöcke der Garcías kommen auf ein Alter von 80 Jahren (Tempranillo) und sogar 120 Jahren (Vigiriego, Jaén Blanco, Jaén Negro, Tempranillo). Wohlgemerkt: Reben werden gemeinhin als „alt“ bezeichnet, wenn sie 25 Jahre übersteigen. Gewächse mit 80 und 120 Jahren finden sich höchstselten, weil derart alte Reben aufgrund geringer Erträge wirtschaftlich unattraktiv sind. Dafür wurzeln diese Stöcke tiefer und holen sich mehr Nährstoffe aus dem Boden, was der Traubenqualität dienlich ist. 

120 Jahre alte Rebe
120 Jahre alte Vigiriego-Rebe.

Familie García betreibt Weinanbau seit den 1890er-Jahren und in der fünften Generation. In den letzten zehn Jahren haben Antonio und Alberto neue Rebsorten gepflanzt, darunter Pinot Noir, Syrah oder Petit Verdot. Andalusien verbindet man wahrlich nicht mit Spätburgunder. Doch im harten Bergklima der Sierra de la Contraviesa und deren Schieferböden gedeiht die Rebe verblüffend gut. Erst am vergangenen Wochenende war ich mit Alberto García in den Weinbergen unterwegs und sah auf 1300 m Höhe kerngesunde Pinot-Noir-Trauben hängen, die in ein bis zwei Wochen reif für die Lese sein dürften. Auf den Bergkämmen der Contraviesa fühle ich mich dem Himmel immer ein Stück weit näher.

Damit ist auch schon das spezifische Terroir dargelegt, für welches Garcia de Verdevique steht: Neben einer alteingesessenen Weinbauernfamilie setzt es sich aus den höchsten Weinlagen auf dem europäischen Kontinent, kargen Schieferböden und größtenteils sehr alten Reben zusammen. Zum Terroir dürften wohl ebenfalls die zwei Pferde der Garcías gezählt werden, mit deren Hilfe sie im Winter ihre biologisch bestellten Weinberge pflügen.

Pflügen des Weinbergs mit Pferden
Die Steillagen werden mit Pferden gepflügt (Foto: Alberto García)

Die Garcías machen Naturweine
Uff, mögen manche von Ihnen jetzt möglicherweise stöhnen. Ich weiß: Naturweine werden von vielen Weinconnaisseuren und -experten geradezu verpönt. Ein Weißwein, der nicht fruchtig oder blumig duftet und manchmal auch noch ungefiltert mit leichten Trübungen daherkommt – „Oh mein Gott, welch Frevel!“, ertönt es laut bei den Wächtern des guten Geschmacks. Von „Fehltönen“ oder „fehlerhaften Aromen“ wird dann oft gesprochen, wenn ein Wein das gewöhnliche Geschmacksmuster verlässt. Auch der klassische Weinhandel hat meistens ein Problem mit Naturweinen. Denn wie erkläre ich es dem Kunden, dass verschiedene Jahrgänge ein- und desselben Weins völlig anders schmecken können? Mal wilder, mal runder, mal weicher, mal rauer, mal fruchtiger, mal deutlich würziger. 

Drehen wir den Spieß einmal um: Ein Wein, der über viele Jahrgänge hinweg quasi identisch schmeckt, ist natürlich „frisiert“. Im Internet finden sich zahlreiche Anbieter von sogenanntem Weinbereitungszubehör, mit dem sich ein Tropfen entsprechend bearbeiten lässt: Fehlt einem Wein die Säure, gibt es Mittelchen zum Ansäuern. Hat der Wein zu viel Säure, lässt er sich mit Pülverchen wiederum entsäuern. Fehlt es an Struktur, mischt der Winzer oder die Winzerin einfach Tanninpulver bei, bis es passt. Darüber hinaus existieren diverse Aromenkonzentrate und Reinzuchthefen, die eine Geschmacksrichtung bedienen. All diese Verfahren – ich liste hier nur einen kleinen Bruchteil auf – sind legal und Gang und Gäbe und müssen auf dem Etikett nicht deklariert werden.

Spätburgunder in Andalusien
Kerngesunde Spätburgunder-Trauben in Andalusien und auf 1300 m Höhe.

Nun gibt es immer mehr kleine Weingüter wie García de Verdevique, die tatsächlich den Mumm besitzen all das wegzulassen. Die bereit sind, sich auf das Abenteuer der alkoholischen Gärung einzulassen und den Saft ihrer Trauben auf natürlichem Wege spontan vergären. Die den daraus gewonnenen Wein ohne Zusätze ausbauen und auf eine Schönung und Filtrierung verzichten. 

Bei Bier und Apfelsaft hat es sich inzwischen herumgesprochen, dass Trubteile bereichernde Geschmacksstoffe sind. Im konservativen Weinmilieu muss ein Wein hingegen immer noch schön sauber und klar aussehen: Auf der Webseite eines auf französische Weine spezialisierten deutschen Importeurs las ich neulich das Interview einer Sommelière. Auf die Frage „Woran erkenne ich einen guten Wein?“ antwortet sie im O-Ton: „Auch die Farbe kann Aufschluss über die Qualität eines Weines geben: Weißwein und Rosé müssen klar sein. Sind Trübungen zu erkennen, ist der Wein nicht einwandfrei. Bei Rotweinen ist ein Depot ein untrügliches Zeichen für minderwertige Qualität.“ Bei allem Respekt, aber diese Antwort ist so etwas von 20stes Jahrhundert.

Im Weinkeller mit den Garcias
Mit Alberto und Antonio García und Sohnemann im Keller.

Der Fairness halber sei hier deutlich gesagt, dass es zahlreiche Weingüter gibt, die zwar keine Naturweine machen, aber dennoch auf eine biologische oder zumindest nachhaltige Landwirtschaft, eine behutsame Schwefelzugabe und grobporige Filter setzen. Es gibt immer auch einen Mittelweg. 

Deutlich gesagt sei aber auch, dass der größte Anteil von Weinen auf dem Markt wenig mit einem Naturprodukt zu tun hat. Bei Massenweinen und in Großanbaugebieten wird gespritzt und gepantscht was das Zeug hält. Ein Beispiel: Das Julius-Kühn-Institut – Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen stellte 2015 fest, dass europaweit rund 60 Prozent der in der Landwirtschaft verwendeten Pilzgifte im Weinbau zum Einsatz kommen. Auch Pestizide und Herbizide werden im konventionellen Weinbau überproportional stark verwendet. Ganz besonders schlimm beim hemmungslosen Einsatz von Spritzmitteln ist übrigens die große Weinnation Frankreich. Aber freilich trifft dieses traurige Phänomen auch auf Massenweine aus Spanien oder Italien zu. Dies als Hinweis am Rande für „Etikettentrinker“, wenn jene das nächste Mal an ihrem billig eingekauften Bordeaux, Chianti oder Rioja nippen. So gesehen sind Natur- oder wenigstens Bioweine vielleicht ja auch eine Bereicherung.

Alberto Garcia zwischen 120 Jahre alten Reben
Alberto García zwischen 120 Jahre alten Rebstöcken. Die Garcías setzen konsequent auf biologischen Weinbau.

Vertikale Verkostung der Vigiriego
Wenn García de Verdevique wie eingangs erwähnt zu meinen Lieblingsweingütern gehört, dann stellen sie natürlich ein paar meiner liebsten Weine. Besonders spannend finde ich den weißen Vigiriego und die rote Crianza aus Tempranillo und Cabernet Sauvignon. 

Vom Vigiriego habe ich die drei letzten Jahrgänge vertikal verkostet. Eine vertikale Verkostung – das sei kurz erläutert – bedeutet im Fachjargon, wenn verschiedene Jahrgänge desselben Weins parallel probiert werden. Sie ist das Gegenteil zur horizontalen Verkostung, bei der verschiedene Weine eines Jahrgangs degustiert werden. Immer geht es dabei um den Vergleich zwischen Jahrgängen (vertikal) bzw. Erzeugern oder bestimmten Lagen (horizontal).  

Die Vigiriego (auch: Vijiriega) ist eine autochthone Weißweinsorte der Provinz Granada, die tendenziell säurebetonte Weine ergibt. Bei Garcia de Verdevique wird die Rebe sowohl im Stahltank als auch im Barrique ausgebaut. Ich beziehe mich auf jene aus dem Stahltank. Jeder Jahrgang verfügt dabei über eine deutliche Ausprägung und Individualität: Der 2017er schimmert rotgolden im Glas, ist würzig und elegant. Der 2016er zeigt sich etwas heller in Goldgelb, ist fruchtiger (Apfel) und spritziger. Der 2015er ist kräftig Bernsteinfarben, er schmeckt wild und rau und ist eine Herausforderung für den Gaumen. Wer auf Vielfalt und Unterschiedlichkeit steht, wer gerne mal was Neues probiert, dem seien diese Weißweine empfohlen, als Einstieg der Jahrgang 2016 oder 2017. 

Orange Wine von Garcia de Verdevique
Vigiriego 2015: Bernsteinfarben und wild.

Die rote Crinza: Komplex und mit Tiefgang
Die Crianza von „Verdevique“ ist ein Verschnitt aus Tempranillo und Cabernet Sauvignon. Der Rotwein reift 12 Monate im Barrique, und darüber hinaus geben ihm Antonio und Alberto García ein relativ langes Flaschenlager von fünf Jahren, ehe er in den Handel geht. Ich vergleiche den aktuellen 2011er und dessen Vorgänger 2010.

Beide Jahrgänge überzeugen mit Komplexität – es zeigen sich würzige, erdige und animalische Noten. Die Weine haben Tiefgang und offenbaren stets neue Facetten. Ferner verlieren sie nichts von ihrem Grip und ihrer Kraft, selbst wenn sie schon eine Woche geöffnet sind. Unterschiede bestehen darin, dass bei der Crianza 2010 die beerigen Aromen von dunklen Früchten im Vordergrund stehen, während beim Jahrgang 2011 die Frucht etwas zurückhaltender auftritt, dafür die Säure straffer und die Tannine präsenter eingebundenen sind. Der 2011er ist entsprechend etwas druckvoller am Gaumen und bleibender im Abgang – ein wirklich erstklassiger Wein, der Intensität mit Eleganz vereint.

Für Sie – verehrte Leser und Leserinnen – vielleicht von Interesse: Sowohl die Crianza 2011 als auch der Jahrgang 2010 können bei einem Berliner Händler, den ich kenne, Online bestellt werden: www.alpujarra-olivenoel.de/Rotwein

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