Alle Weinfreaks kennen das Anbaugebiet Ribeira Sacra. Und das zumeist schon lange. Unter weniger ambitionierten Weintrinkern ist die Region hingegen nahezu unbekannt. Ribeira Sacra erfährt Kult und Verehrung auf der einen Seite, und andererseits ist es in der Mainstream-Weinwelt ein unbeschriebenes Blatt.
Der Grund, warum die Weinverrückten so sehr auf die Gewächse aus Ribeira Sacra stehen, ist das spektakuläre Terroir aus extremen Steillagen mit bis zu 80% Gefälle, Schieferböden, Cool Climate und zahlreichen autochthonen Rebsorten.
Der Grund, warum die „normalen“ Weinliebhaber Ribeira Sacra nicht kennen, dürfte vor allem am höheren Preisniveau liegen. Es ist nämlich unmöglich in diesem unwirtlichen Land günstige Massenweine zu erzeugen.
Ponte da Boga – Fokus auf autochthone Rebsorten
Vor drei Monaten war ich mit Schweizer Weinfreunden in Galicien unterwegs und dabei auch in Ribeira Sacra. Über unseren Besuch bei Adega Algueira finden Sie bereits einen Beitrag auf diesem Blog. Am gleichen Tag waren wir außerdem bei Ponte da Boga zu Gast, wo wir von Chema Rivera empfangen wurden. Er ist einer der Önologen des Weinguts und gehört der bekannten Rivera-Familie an, die wiederum mit Estrella Galicia eine der größten Biermarken Spaniens besitzt.
An Kleingeld sollte es also nicht mangeln, doch auch ein Weingut muss aus eigener Kraft rentabel arbeiten: „Die Mencia hält das Geschäft am Laufen“, sagt Chema Rivera, während wir einen Weinberg nahe der Kellerei besichtigen. Etwa 75 Prozent der 24 Hektar des Weinguts sind mit jener gefragten Rotweinrebe bestockt. Darüber hinaus sind Godello, Albariño, Sousón, Brancellao und Merenzao im Anbau. Vor allem in den zwei letztgenannten Sorten erkennt Chema „das Potenzial und die Zukunft von Ribeira Sacra“. Dazu gleich mehr.
Während wir im Weinberg stehen, schlägt das Wetter um. Wolken ziehen herauf, und es fallen ein paar Tropfen. Nach fünf sonnigen Tagen endlich mein erster galicischer Regen! Kurz war ich davor zu glauben, es handele sich um einen Mythos.
Doch dem ist freilich nicht so. Das Weingut Ponte da Boga befindet sich 100 Kilometer Luftlinie von der Atlantikküste entfernt und liegt auf über 500 m Höhe. Hier, im Landesinnern von Galicien, ist das Klima atlantisch-kontinental, was in dieser Kombination konkret bedeutet: reichlich Niederschläge (bis zu 1000 mm/Jahr), in den Wintern kalt und in den kurzen Sommern relativ heiß.
Im Tröpfelregen begeben wir uns in die Kellerei. Die Weinernte steht gerade in den letzten Zügen (es ist der 8. Oktober), und das bedeutet wiederum, dass viele Helfer viele Arbeiten verrichten. Chema Rivera entschuldigt sich, dass aufgrund dessen ein wenig Durcheinander herrscht und geleitet uns in die obere Etage in den Verkostungsraum.
Dort präsentiert uns Chema sechs Weine, darunter rebsortenreine Godello, Albariño und Mencia, die allesamt ausgezeichnet sind. Im Folgenden beschränke ich mich auf zwei Rotweine aus Merenzao bzw. Brancellao, deren Kontext ich besonders spannend finde.
Capricho de Merenzao – elegant und fruchtig
Die Merenzao-Traube stammt ursprünglich aus Frankreich, wo sie heute vor allem noch im Jura beliebt ist. Dort heißt die Sorte Trousseau. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Trousseau bzw. Merenzao über den Jakobsweg aus Frankreich nach Galicien gelangte und insbesondere in die zahlreichen Klöster von Ribeira Sacra kam. Gerade die Mönche taten sich vom Mittelalter bis in die 1920er-Jahre im Weinanbau hervor.
Nach dem spanischen Bürgerkrieg setzte im armen Galicien eine Abwanderungswelle ein. Die terrassierten Rebanlagen verfielen in einen Dornröschenschlaf und verwilderten. Erst ab den 1980er-Jahren nahm der Weinanbau in Ribeira Sacra wieder Fahrt auf. Heute zählt das Gebiet zu den spannendsten in ganz Spanien, und Weingüter wie Ponte da Boga richten ihren Fokus auf die alten, lange Zeit vergessenen Rebsorten wie Merenzao und Brancellao.
Aus der Merenzao, die über dünne Beerenschalen verfügt, keltert Ponte da Boga einen sortenreinen Rotwein: Der Capricho de Merenzao 2016 hat weder viel Tannin, noch besonders viel Säure. Und dennoch schmeckt er frisch, fruchtig und insgesamt aromatisch komplex. Seine helle ziegelrote Farbe und seidig-weiche Textur sind – vor allem für einen spanischen Rotwein – ungewöhnlich und interessant. Ein eleganter Wein, der mir Freude bereitet.
Ein knackiger und druckvoller Brancellao
Die Brancellao gehört mit hoher Wahrscheinlichkeit zu den ältesten Rebsorten in Ribeira Sacra. Datenbanken weisen aus, dass die Rebe portugiesischen Ursprungs ist. Allerdings kennen wir nicht allzu viel über die Sorte: Zum Beispiel konnten DNA-Analysen bis heute nicht die Elternteile der Traube bestimmen (im Gegensatz dazu, wissen wir von der in Ribeira Sacra so populären Mencia beispielsweise, dass es eine Kreuzung aus den portugiesischen Rotweinsorten Alfrocheiro und Patorra ist).
Der Brancellao-Traube wird eine hohe Qualität nachgesagt und diese tritt eindrucksvoll im Porto de Lobos 2016 zutage. Jener Rotwein verfügt über eine tolle Säure und ist druckvoll am Gaumen. Im Duft nehme ich Veilchen wahr, am Gaumen Johannisbeere. Was mir richtig gut gefällt, sind der Zug und der Grip, den der Wein entwickelt. Es ist einfach klasse, dass wir Weinkonsumenten solche rare Rebsorten wieder vermehrt trinken können. Neben Ponte da Boga erzeugen beispielsweise auch die auf diesem Blog früher besprochenen Adega Algueira und Fazenda Pradio einen sortenreinen Brancellao (und ebenfalls einen Merenzao).
Die Vergangenheit weist den Weg in die Zukunft
Als Abschiedsgeschenk erhalten wir von Chema Rivera die 2017er Rotwein-Cuvée Expresión Histórica mit auf den Weg. In ihr vermählen sich die autochthonen Trauben Sousón, Mencía, Brancellao und Merenzao zu einem saftigen und sehr schön ausbalancierten Wein.
In einem Prospekt bezeichnet Ponte da Boga jenes Gewächs als „Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unserer Weine“. Man kann das als Marketing-Blabla abtun. Aber das wäre zu kurz gegriffen. Was ich bei meiner einwöchigen Galicien-Reise in vielen Begegnungen und Gesprächen erkannt habe, ist das ausgeprägte Bewusstsein um eine eigene galicische Weinidentität, zu dem die vielen autochthonen (und historischen) Rebsorten entscheidend beitragen. Galicien ist das Land von Albariño, Godello und Mencía. Jene Sorten dominieren den Weinanbau. Darüber hinaus existiert ein mengenmäßig geringer Teil, der allerdings enorm vielfältig und interessant ist und im Grunde ein Alleinstellungsmerkmal darstellt. Nimmt man alles zusammen, dann ist Galicien – so sehe ich es – ein eigener kleiner Weinkontinent. Ich komme definitiv zurück in der Zukunft.
Weitere Informationen:
Link zum Weingut: www.pontegaboga.es
Alle Fotos: Thomas Götz, Spaniens Weinwelten